What a wonderful world
Kurz
vor dem Sommerurlaub des
Jahres 2005 fand ich im Internet auf den Seiten unseres bevorzugten
Ausrüstungsversands die Ausschreibung zu „Lebe Deinen Traum.
Was ist
ihr
Traumreiseziel und was wollen Sie dort tun.
Wir setzten uns am
Abend zusammen. Jeder machte eine Liste mit seinen
Lieblingszielen. Dann kam alles zusammen auf eine Liste. Doppelte
Nennungen
wurden schon hier gestrichen. Trotzdem war die Liste noch immer
ziemlich lang.
Nach weiteren Diskussionen und einigen Gläsern Wein stand die Nummer 1
fest. Es
war die russische Halbinsel Kamtschatka im fernen Osten. Unser Ziel war
es, den
größten Fluss dieser Halbinsel, die Kamtschatka mit dem Faltboot zu
befahren.
Wir wussten zwar noch nicht sonderlich viel über diesen Fluss und auch
nicht
viel über Kamtschatka, außer das es dort ziemlich viele Vulkane gibt,
aber wir
würden uns die notwendigen Informationen schon beschaffen. Wir füllten
die
Teilnahmeunterlagen aus, und am nächsten Morgen (meinem letzten
Arbeitstag vor
dem Urlaub) schickte ich unsere Teilnahme ab.
Nachdem wir
aus Vancouver und Vancouver Island wieder
zurück waren und uns der Alltag wieder mit Beschlag belegte, war ich
mal wieder
auf der Seite besagten Ausrüsters um mal wieder im Forum
vorbeizuschauen. Da
lief die Abstimmung zu den vorausgewählten Vorschlägen „Lebe Deinen
Traum“. Ich
traute meinen Augen nicht. Es gab verschiedene Kategorien. In jeder
Kategorie
standen 3 Vorschläge zur Auswahl. Wir und unser Vorschlag waren in der
Kategorie Gruppenreise in die engere Auswahl gekommen. Am Schluss
hatten wir
1000 € in unserer Reisekasse und die „Verpflichtung“ unseren Traum nun
auch
wirklich zu
realisieren.
Die Vorbereitung gestaltete sich
einigermaßen schwierig. Die Menge an Reiseführern, in denen etwas
Substanzielles zu Kamtschatka steht, ist sehr überschaubar. Im
Klartext, es
gibt einen (1) vernünftigen Reiseführer. Einerseits gut,
anderseits,
wollten
gerade wir diesen Reiseführer nach unserer Reise selbst
schreiben. Sehr hilfreich waren einerseits die Internet
Links und andererseits die konkreten Berichte und Erfahrungen einzelner
Reisender.
Nach den ersten Mails zeigte sich
allerdings sehr schnell die grundlegende Schwierigkeit. Unsere
Ansprechpartner
konnten sich individuelle Unternehmungen in Kamtschatka einfach nicht
vorstellen. Im folgenden einige Ausschnitte aus Mails, die ziemlich
typisch
sind. Wir wollen damit niemanden bloßstellen, deshalb auch keine Namen,
sondern
sie zeigen nur die grundsätzliche Schwierigkeit individuellen Reisens
in
Kamtschatka und wie wir glauben, auch in Russland insgesamt.
20.02.2006
(…) We provide all variety of transportation services within Kamchatka
(all-terrain 4WD and 6WD passenger trucks, buses, cars, boats,
helicopters), accommodation at hotels and lodges, camping equipment
(if needed), and full board during the course of the trip. We also
offer the services of guides, interpreters, cooks and porters (if
needed), all necessary permits, visa support etc.
(…)
Please mind that an individual trip will cost much more than a joining
to a group. We work with small groups (6-12 people, mostly foreigners
from Europe), so I think you'll enjoy with your Kamchatka travelling a
lot.
Insbesondere
unser Wunsch, die Kamtschatka mit dem
Faltboot zu befahren, erleichterte die Sache nicht unbedingt. Wir
wollten die
Kamtschatka von Milkowo bis nach Ust-Kamtschatsk, wo sie in den Pazifik
mündet,
befahren. Informationen über Wildwasserabschnitte, Stromschnellen u.ä.
lagen
uns nicht vor.
22.02.2006
(...) Sicherlich gibt es exakte Flusskarten, mir ist noch keine untergekommen, u.U. koennten
sie hier fuendiger werden als vor Ort, also bei verschiedenen Kartenhaendlern anklopfen.
ich habe zufaellig einen sowjetischen Reisefuehrer von Kamtschatka vor mir, darin sind
einige Flusstouren beschrieben, nicht jedoch die auf der Kamtschatka.
Das Visum: dafuer benoetigen Sie eine Einladung: meine Kollegin von (...) wird
Ihnen diese bei Ihren Plaenen nicht ausstellen. Es ist in den vergangenen Jahren immer
wieder zu Todesfaellen gekommen, angekreidet wird es den Tourismusbueros. Diese
Risiko will keiner auf sich nehmen. Somit kann ich Ihnen mit der Variante 'nur Visum -
den Rest machen wir selber' nicht weiterhelfen. Wenn Sie aber ein ganzes Packet kaufen
wollen, dann kann ich Ihnen verraten, dass es horrend teuer wird.
Evtl. erreiche ich einen Ein-Mann Reieveranstalter, der fuer solche Touren zu haben sein
koennte, ich kenne ihn selber nur vom hoeren-sagen.
transport finden Sie ueberall, am einfachsten und weitaus guenstigesten nehmen Sie en
Bus vom 10. Km in der Hauptstadt.
(...)
Sie sehen, dass sind recht entmutigende Neuigkeiten, dafuer ehrliche. Natuerlich findet
sich immer ein Weg, aber das dauert manchmal laenger als der eigentliche Urlaub erlaubt.
mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. irgendwie haben sich auf kamtschatka nicht nur
die baerenpopulationen bisher gut gehalten, sondern auch gewissen sowjetische
Buerokratieatavismen...
Mit Genehmigungen sollte man auf keinen Fall scherzen. Ust-Kamtschatsk gehoert zur
Zagranzona, d.h., wird von einem gewoehnlichen Visum nicht mehr abgedeckt, Sie
benoetigen also unbedingt eine Einladung, in der ALLE ihre Reiseorte aufgelistet sind und
diese sollten dann im Antrag akribisch abgeschrieben werden. den Sicherheitskraeften ist
dort gelegentlich langweilig, ausserdem sind die Vorschriften wieder strenger geworden,
was unangenehmen Folgen haben kann.
Nach
dem Erhalt dieses Mails kam ich dann doch etwas ins
Grübeln. Die einen können sich individuelle Reisen nicht vorstellen und
die
anderen, argumentieren mit bürokratischen und sonstigen Vorschriften
und
verstecken sich hinter irgendwelchen Haftungsrisiken. Dabei wollten wir
das
Risiko ja ausdrücklich selbst tragen.
Wir wollten dieses Mal
die Flüge nicht im Internet buchen
und suchten nach einem Reisebüro, das auf Russland spezialisiert ist.
Da wir
unsere Boote mitnehmen wollten, war die Frage des Übergepäcks und
dessen Preis
eine nicht unwesentliche Frage der Kalkulation. Dieses unscheinbare
Reisebüro
am Rande von Bad-Cannstatt war uns schon öfter aufgefallen, zumindest
durch die
kyrillische Beschriftung. Bei der Buchung der Flüge wurde uns gesagt,
die
Termine seien unmöglich. Auf die Frage, ob an diesen Terminen die Flüge
ausgebucht seien, erhielten wir die Antwort, das ein Touristenvisum nur
30 Tage
gültig sei und unsere Flugtermine diesen Zeitraum überschreiten. Auf
die
Nachfrage nach einem 3 Monate gültigen Geschäftsvisum, wurde uns
gesagt, dies
sei unmöglich.
Wir entschlossen uns,
zuerst den Flug zu buchen und uns um
die Visa selbst zu kümmern .
11.03.2006
I think, that it would be better for you to buy Russian Visa by Internet, in
such a case you don't need to take our guide, but we woun't be responsible
for you. Please, give us the scales (proportions) of your luggage, boats,
and I'll find the transport to Dolinovka and from Ust-Kamchatsk. We can
offer you jeep Toyota - 4 Runner or Mitshubisi - Delica.
Trekking to the Kronotsky National Park will take you 6-8 days one way. I
recommend you to change this part of your tour.
Nun
hatten wir drei parallele Baustellen. Zum einen die
Besorgung eines Geschäftsvisums und zum anderen die Frage unserer
Faltboot-Tour
auf der Kamtschatka und die Organisation einer individuellen Tour ins
Tal der
Geysire.
Die Frage der Visa
konnte mit Hilfe von mein-visum.de
schnell und sachkundig geklärt werden, so dass wir Mitte April unsere
Pässe mit
den eingeklebten Visa wieder in der Hand hatten. Nun waren
wir wenigstens nicht mehr auf irgendwelche Einladungen
angewiesen, die man uns aus Haftungs- oder sonstigen Gründen nicht
geben
wollte.
Der Bericht einer Anglergruppe, den ich im Intenet fand,
erwies sich als Glücksfall. Nicht weil wir unbedingt angeln wollten,
sondern
wegen einer Adresse in diesem Artikel.
Neben der Aufzählung von Lachsarten, ihrer Laichsaison und
der Ausrüstung zum Fliegenfischen fanden wir auch den folgenden
Abschnitt:
Für
Hilfe bei der Besorgung von Visa, Lizenzen
und Transport können wir die Firma
Explore
Kamchatka wärmstens
weiterempfehlen. Die liebenswerte
Leiterin,
Frau Martha Madsen,
bietet bei Bedarf auch
Touren mit
russischen
Guides für Fischergruppen an.
Der erste Mailkontakt mit Frau
Madsen lies unsere Hoffnung
wieder steigen, unsere Pläne doch wie geplant realisieren zu
können.
10.03.2006
Thank
you for your inquiry. I would be happy to help you with your documents
and any
other needed logistical questions. Besides an invitation and voucher
for
getting a visa, you need 2 special permits for entering Ust-Kamchatsk -
one
from Border Guards and one from FSB (police) as this is a special zone
near the
military areas. My partner company Diligans Kamchatka can do the
documents for
you. I will double check on the cost but I think its about $50 US per
person. I
need to check but you may be required to have a Russian guide with you
in those
areas. There is a new Kamchatka Kayakers' club that might be able to
supply a
Russian escort.
Also we have
a bed and breakfast at our home and if you need a place to stay in town
when
you come through, we can help you. The cost is $35 per person.
Unfortunately
we have learned that the Kronotsky Preserve no longer will allow any
backpacking. However I enclose information on a trip to the Preserve
for bear
viewing.
Hörte sich gar nicht so schlecht
an. Allerdings: Russischer Begleiter. Für was und wozu ? Diese Frage
erwies
sich in der Folgezeit als nicht einfach zu lösen. Unsrem Gefühl und
bisheriger
Praxis wollten wir allein unterwegs sein, Herr (und Frau) darüber sein,
wann
wir morgens starten, wann wir Pause machen und wann wir abends unser
Zelt
aufbauen und den Tag beschließen.
Zwischenzeitlich gab es
allerdings auch Mails in denen es hieß, wir könnten ohne russische
Begleitung
überhaupt nicht auf den Fluss.
Die Notwendigkeit eines Guides im militärischen
Sperrgebiet zwischen Kljutschi und Ust-Kamtschatsk mussten wir
(schweren
Herzens) einsehen. Diligans, die Partneragentur von Martha besorgte die
Genehmigungen des FSB für das militärische Sperrgebiet.
Zugegebenermaßen,
wollten wir keine nähere Bekanntschaft mit russischen Gefängnissen
machen.
Zudem unsere Russisch-Kenntnisse gerade mal einen VHS-Kurs umfassten.
Wir einigten uns mit Slawa,
dem
Präsidenten des Kamtschatka Kajak Klubs darauf, das er uns auf der
Strecke
zwischen Kozyrevsk und Ust-Kamtschatsk begleitet. Die Strecke von
Milkowo bis
Kozyrevsk wollten wir im Alleingang zurücklegen. Martha erwies sich
dabei als
unverzichtbare Helferin und verständnisvolle Organisatorin, die
zumindest im
Ansatz, unser Begehr nachvollziehen konnte.
Nachdem wir endlich Anfang Juli
die Flugtickets die Visa und die GPS Koordinaten für unseren Treffpunkt
mit
Slawa hatten, ging es um unsere Pläne für den Kronotsky Nationalpark
und das
Tal der Geysire. Wir wussten, wir brauchen einen Inspektor als
Begleiter, wenn
wir individuell im Park unterwegs sein wollen. Auch die Kosten für den
Inspektor von 2400 Rubel / Tag waren uns bekannt. Allerdings wollten
wir mit
einer Gruppe einfliegen, einige
Tage
individuell wandern und mit einer anderen Gruppe wieder ausfliegen, um
mindestens die Kosten für den Helikopter in erträglichen und für uns
bezahlbaren Grenzen zu halten.
Allerdings bewegten sich die Preise die uns angeboten
wurden im Bereich
von knapp 3000 US$ (pro Person). Das überstieg unser Budget bei weitem.
Wir
beschlossen, die endgültige Entscheidung darüber, was wir nach unser
Kajaktour
machen wollten, direkt vor Ort zu treffen. Das hatte den Vorteil, das
wir die
Sache mit Martha direkt und persönlich und nicht nur per Mail
besprechen
konnten. Denn langsam wurde die Zeit für die weitere Vorbereitung
knapp. Der
Termin für den Hinflug war der 3. August 2006.
Gleichzeitig hatten wir einen
Großteil unseres Gewinns bei Globetrotter in Ausrüstung und
Trockennahrung
investiert. Das entlastete unser Budget erheblich.
Zwei Tage bevor es nun
endgültig
losging begann die „finale Packorgie“. Am Schluss lagen da zwei in
ihren
Rucksäcken verstaute Faltboote, zwei bis zum Rande beladene Trekking
Rucksäcke
und ein verschnürtes und verklebtes Paket mit zwei Paddeln.
Am 3. August, nach einem
gemütlichen Frühstück, das ganze Gepäck hatten wir schon am Abend zuvor
ins
Auto geladen, ging es los in Richtung München. Der Abflug war erst
abends nach
23 Uhr. Wir hatten uns mit Annettes Schwester und ihrem Freund auf dem
Münchner
Flughafen verabredet. Sie sollten dann unser Auto mit nach München
nehmen.
Die erste (böse)
Überraschung
erlebten wir dann beim Einchecken des Gepäcks. Im Reisebüro war uns ein
Preis
von 6,80 Euro pro kg Übergepäck genannt worden. Hier am Flughafen
München
verlangte man von uns 10,50 Euro pro kg und das auch nur bis Moskau.
Aber wir
wollten ja schließlich unser gesamtes Gepäck mitnehmen.
Bei der Ankunft in Moskau mussten
wir das Terminal wechseln. Die internationalen Flüge kommen an Terminal
I an
und die innerrussischen Abflüge sind von Terminal II. Zwischen den
Terminals
verkehrt ein Bus. Allerdings wollen auch die ganzen Taxifahrer von dem
Kuchen
etwas abhaben. So ist es nicht ganz einfach, den Taxifahrern
klarzumachen, dass
wir den Bus benutzen wollen und kein Taxi brauchen. Zumal wir bis zu
unserem
Weiterflug zwölf Stunden Zeit haben. Leider zuwenig, um mit unserer
Menge an
Gepäck einen Abstecher in die Stadt zu machen. Nachdem wir unser Gepäck
im Bus
untergebracht haben und uns mit allen anderen sardinenmäßig in den Bus
quetschen ließen, geht es los zu einer halsbrecherischen 3o minütigen
Fahrt zum
Inlandsterminal des Flughafens Scheremetjevo.
Dort angekommen, stellten wir fest, dass es hier, im
Gegensatz zu
sonstigen Flughäfen, keine Gepäckwägen gibt. Zur größeren Sicherheit
wird hier
schon direkt am Eingang des Flughafens das Gepäck durchleuchtet. Ohne
Gepäckwagen war das eine ganz schöne Schinderei. Zum Glück zeigte die
Durchleuchtung außer einigen Batterien nichts wirklich verbotenes.
Nachdem wir
unser Gepäck in eine etwas ruhigere Ecke geschafft hatten, machte ich
mich auf
die Suche nach einem Kaffee. Schließlich war es mittlerweile 7 Uhr
morgens und
geschlafen hatten wir in dieser Nacht noch keine Minute.
Der Versuch, in einer
Ecke mit dem Kopf auf einem Rucksack ein
Mindestmaß an Schlaf zu finden, war leider nur teilweise erfolgreich.
Wir
kramten recht bald Bücher heraus um die Zeit halbwegs sinnvoll zu
nutzen. Eine
weitere Möglichkeit war das Treiben auf dem Flughafen zu beobachten. An
mehreren Stellen konnte man sein Gepäck in Plastikfolie verpacken
lassen. Mir war
zwar nicht klar, was das bringen soll, aber der Verbrauch an
Plastikfolie war
gigantisch.